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Zensur in Nicaragua und Mittelamerika

Über den Verein »Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Corinto/El Realejo« unseren Kooperationspartner in der Aktionswoche erreichte uns jetzt der nachfolgende Artikel des Schriftstellers und Romanisten Juan Pérez.

Manchmal führt eine grausame Wirklichkeit zu großartigen Kunstwerken. Dementsprechend entstand im Lateinamerika des 20. Jahrhunderts der Diktatorenroman. Ein literarisches Genre mit eigenen Konventionen und Spielregeln: Schriftsteller aus Paraguay, Kolumbien, Guatemala, Peru und Kuba schrieben kritisch über einen allmächtigen Diktator. Sie sezierten politische Machtverhältnisse und schilderten deren psychologische Folgen für die Politiker ebenso wie den Freiheitsverlust des Volkes. Darüber zu schreiben, war für sie jedoch nur deshalb möglich, weil sie sich ausnahmslos im Exil befanden. Ansonsten hätte die Zensur sie getroffen.

Man könnte meinen, dass es heutzutage nur noch eine andere Art von Zensur gäbe, die eher mit ‚Identitätspolitik‘ und ‚Political Correctness‘ zu tun hätte: Eine Art kultureller Absolutismus, der ursprünglich an US-amerikanischen Universitäten entstanden sein soll. Die alte, offensichtliche Zensur läge hinter uns.

Das ist jedoch nicht der Fall. In Nicaragua, wo in den 1970er Jahren eine echte Volksrevolution –laut Historiker:innen die letzte des Kontinents –eine der furchtbarsten Diktaturen der Region gestürzt hat, gibt es heute erneut eine Diktatur. Ausgerechnet die Partei, die damals die Revolution angeführt hat, ist heute wieder an der Macht.

So kehren die alten Gespenster Lateinamerikas zurück, als wären sie einem Diktatorenroman entstiegen. Die Klischees, denen zufolge die Geschichte sich wiederholt, haben zwar ihre Aktualität verloren –im Kern der Revolution lag jedoch etwas durchaus Autoritäres. So sind zwar die Karikaturen, in denen Politiker über ihrer Machtfülle den Verstand verlieren, mit der Zeit verschwunden. Die Figuren selbst aber bestehen fort.

Als im September 2021 der letzte Roman von Sergio Ramírez Tongolele no sabía bailar veröffentlicht worden ist, wurde das Buch in Nicaragua verboten worden und sein Autor musste ins Exil. Heute können junge nicaraguanische Schriftsteller:innen in ihrem eigenen Land keine Werke publizieren, wenn in ihnen ein direkter oder indirekter politischer Bezug besteht. Die wenigen Verlage, die noch existieren, müssen ihre Manuskripte dem nationalen Kulturinstitut vorlegen, bevor sie gedruckt werden können. Ansonsten drohen sowohl Verlagen als auch Schriftsteller:innen Konsequenzen: die Pässe können ihnen abgenommen werden, und im schlimmsten Fall wandern sie sogar ins Gefängnis.

Im Rest von Mittelamerika ist die Zensur nicht so offenkundig, aber es gibt sie. Der salvadorianische Schriftsteller Horacio Castellanos Moya und der Guatemalteke Eduardo Halfon haben beide in verschiedenen Interviews über Todesdrohungen gesprochen, die sie nach einer Buchveröffentlichung erhalten haben. Danach mussten auch sie ihr Land verlassen.

Die Lage ist umso tragischer, wenn man bedenkt, dass trotz kolonialer und neokolonialer Eingriffe, mehrerer Bürgerkriege und Revolutionen sowie tiefer Armut aus dieser Region der Welt einige der einflussreichsten spanischsprachigen Schriftsteller hervorgegangen sind –wie der Nicaraguaner Rubén Darío und der guatemaltekische Nobelpreisträger Miguel Ángel Asturias. Dabei schweben die wenigen Verlage, die es trotz der widrigen Umstände heute noch gibt und die diese bedeutende, aber fragile literarische Tradition unterstützen, in großer Gefahr.

Managua im April 2023

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